Inquisition, Hexenverfolgungen

 

 

 

Sehr geehrter Herr Hochwürden,
seit sie vor gar nicht allzu langer in "Wir sind Kaiser" zu Gast waren habe ich recht viel auf ihrer Seite gelesen und viele tolle neue interessante Dinge erfahren, und als ich so die häufig gestellten Fragen durchlas war da zwar so manches Wissenswerte über die Kreuzzüge aber ich bemerkte das Fehlen eines der Dinge, die in fast jeder religiösen Diskussion die mit der hl. röm. kath. Kirche zu tun hat vorkommen, und zwar:

Die Inquisition und die Hexenverbrennung.
Deswegen wollte ich fragen, was ist eigentlich ihre Meinung über die Hexenverbrennung?

 

 

 

 

Lieber ........

 

Es ist erstaunlich, dass in mehr als drei Jahren niemand diese Frage ausdrücklich gestellt hat, einige Male war sie Teil einer Frageflutwelle, in der mindestens siebenundneunzig Antworten auf einmal erwartet wurden. Ich bediene mich hier eines ausführlichen Kommentars von Kaplan Ulrich Filler, der das sehr weite Themenfeld gut zusammenfasst:

 

 

"Im finsteren Mittelalter hat die Kirche ein besonders böse Rolle gespielt!" Die Kreuzzüge und die Hexenverfolgung werden der Kirche am häufigsten angekreidet. Aber bevor man über das angeblich so "finstere Mittelalter" diskutiert, ist es sinnvoll, erst einmal zu klären, wann überhaupt das Mittelalter gewesen ist. Meistens bekommt man eine Antwort wie diese: "Ja, ach, so zwischen 1300 und 1700!" Und dann kann man darauf hinweisen, dass der Begriff "Mittelalter" den Zeitraum zwischen Spätantike und Renaissance bezeichnet (also etwa 500 bis 1500).
Der Begriff "Mittelalter" ist eine Definition der Historiker. Es handelt sich nicht um einen abgeschlossenen Zeitraum. Deshalb sind auch allgemeine Aussagen wie: "Im Mittelalter wurden Hexen verbrannt!" falsch. Sie müssen präzisiert werden. So fanden zum Beispiel die Hexenverfolgungen nur in einem bestimmten Zeitraum statt (16. bis 18. Jahrhundert), der über den als "Mittelalter" definierten Zeitraum hinausreicht.


Das Mittelalter war nicht nur eine Zeit des Krieges. Im Gegenteil - es gab sehr viele große friedliche Zeiträume. Viele große Gestalten des Mittelalters förderten und forderten den Frieden, wie zum Beispiel Franz von Assisi. Auch das Bild eines dogmatischen, von der Inquisition beherrschten, unfreien Zeitraums ist falsch. Die theologische Diskussion war in vollem Gange, und es wurden zum Teil sehr widersprüchliche Thesen vertreten. Außerdem gab es die päpstliche Inquisition als kirchliches Gericht erst in der zweiten Hälfte des Mittelalters (etwa 1200).
Die Menschen waren nicht nur durch naiven Glauben und Aberglauben geprägt. Die großen Theologen und Philosophen schufen die Voraussetzungen des Denkens und Argumentierens, von denen die Philosophie bis heute ausgeht. Architekten und Künstler dieser Zeit schufen viele kirchliche Bauten und berühmte Kathedralen, die uns vom hohen Niveau der Baukunst mit all ihren mathematischen und technischen Voraussetzungen Aufschluss geben.
Die Gesellschaft des Mittelalters war nicht geschlossen, intolerant und fremdenfeindlich. Gerade im Mittelalter waren die Grenzen offen für Menschen und Güter, im Mittelalter gab es die großen philosophischen Auseinandersetzungen zwischen Abendland, Antike und Orient.

 


Aber nun zu den Kreuzzügen. Als Kreuzzüge bezeichnet man die allgemein aus religiösen Motiven unternommenen Züge gegen die Feinde des Glaubens. Hier sind besonders die Unternehmungen im 11. bis 13. Jahrhundert gemeint, die das Heilige Land aus den Händen der Ungläubigen, die dort seit dem 7. Jahrhundert herrschten, befreien wollten. Die Zählweise der Kreuzzüge ist verschieden, im Allgemeinen zählt man sechs große Kreuzzüge (1.: 1069-99; 2.: 1147-49; 3.: 1189-92; 4.: 1202-04; 5.: 1228-29; 6.: 1248-54).
Die Kreuzzüge werden immer wieder als Beleg für eine imperialistische, herrschsüchtige und machtbesessene Kirche angeführt, die ohne Skrupel auch Waffengewalt für die Erreichung ihrer Ziele einsetzte.
Die Kirche hat die Kreuzzüge nicht "angezettelt". Papst Urban II., der 1095 auf dem Konzil von Clermont zum ersten Kreuzzug aufrief, sprach nicht von Angriff und blutiger Eroberung, sondern von der Freiheit der Kirche und der Befreiung der morgenländischen Christen, die seit dem 10. Jahrhundert von den muslimischen Herrschern unterdrückt wurden. Die Entstehung der Kreuzzüge hängt mit den gravierenden ökonomischen, politischen, sozialen und geistigen Veränderungen des Abendlandes im Hochmittelalter zusammen. Die Kreuzzüge waren ein einzigartiges Phänomen, das die gesamte Gesellschaft des Abendlandes betraf - also nicht nur die Kirche, sondern auch die verschiedenen Länder, Fürsten und Stände.
Für die Kreuzfahrer war der Kreuzzug zunächst eine entschieden religiöse Angelegenheit, sie verstanden sich in der Nachfolge Christi: Indem sie alles zurückließen und viele Gefahren und Strapazen auf sich nahmen, um das Heilige Land zu befreien, nahmen sie am Leiden Christi teil und erfüllten seinen Willen.


Natürlich ist es richtig, dass es hier ein Nebeneinander von Frömmigkeit und (beiderseitiger!) Gewalt und Krieg gab, das uns heute unverständlich ist und uns befremdlich erscheint. Dazu kommt, dass die Kreuzzüge von vielen auch für durchaus eigennützige und ganz und gar nicht fromme Geschäfte benutzt wurden. Man darf aber auch die positiven Auswirkungen der Kreuzzüge nicht vergessen. Gewerbe und Handel nahmen einen Aufschwung, Kunst und Wissenschaft bekamen neue Anregungen, das gesamte Geistesleben erhielt einen Auftrieb, und die Kenntnis fremder Kulturen und Religionen vergrößerte sich - man kann sagen, dass die Zeit der Kreuzzüge für die kulturelle Entwicklung des Abendlandes von entscheidender Bedeutung gewesen ist.


Kritik an den Kreuzzügen gab es schon seit dem 12./13. Jahrhundert. Auch und gerade innerhalb der Kirche waren es Männer wie Franz von Assisi, die der (richtigen) Überzeugung waren, dass man Menschen durch Belehrung und Vorbild, nicht aber durch Zwang und Krieg bekehren sollte. Diese Einstellung teilen wir heute sicherlich. Wenn wir aber die Zeit der Kreuzzüge fair beurteilen wollen, so ist es mit dem "Die Kirche war schuld!" nicht getan. Erst dann, wenn wir uns die Situation der Menschen in der Kirche und Gesellschaft des Abendlandes im Hochmittelalter verdeutlichen und ihre Motivation objektiv untersuchen, werden wir zu einem differenzierten Urteil gelangen. Einseitige und interessensorientierte Pauschalverurteilungen werden einem gesamtgesellschaftlichen und welthistorisch einzigartigen Phänomen wie den Kreuzzügen nicht gerecht.

 


Auch beim Thema "Hexenverfolgung" werden der Kirche pauschale Vorwürfe gemacht. Hexen sind im Volksglauben solche (weibliche wie männliche) Personen, die einen Pakt mit dem Teufel eingehen können, um anderen Schaden an Leben, Gesundheit, Ehe und Eigentum zuzufügen. Alle Völker und Kulturen kennen den Hexenglauben, man findet ihn im alten Ägypten genauso wie bei den Griechen und Römern. Aber auch heute feiert der Hexenglaube in vielen okkultistischen Kreisen wieder fröhliche Urstände! (Soviel zu unserer "aufgeklärten" Zeit...)
Heute wird der Kirche oft vorgeworfen, sie trage die Verantwortung für die Verfolgung und Verurteilung von mehreren Millionen "Hexen" (die genannten Zahlen schwanken zwischen 6 und 9 Millionen). Als im Dritten Reich eine extra zu diesem Zweck eingerichtete Forschungsstelle 154 Archive und Bibliotheken auf Material über Hexen und deren Prozesse hin untersuchte, um es bei der angestrebten Zerstörung der Kirche als "Beweismaterial" vorlegen zu können, wurden aber deutlich niedrigere Zahlen ermittelt: Für Deutschland liegt die Zahl weit unter 100.000, für ganz Europa eher bei 500.000 als bei einer Million.
Als Hexenprozesse bezeichnet man eine seit dem 16. Jahrhundert ausgeprägte Form der strafrechtlichen Verfolgung von der Hexerei angeklagten Personen. Da die Hexerei einen Pakt mit dem Teufel voraussetzte, galt sie als schwere Sünde und Glaubensabfall.


Seit dem 14. Jahrhundert erreichte der Hexenglaube in vielen europäischen Ländern eine enorme Ausbreitung; seit der Mitte des 16. Jahrhunderts wurde eine große Zahl von abergläubischen Schriften, Hexen- und Teufelsbüchern usw. unter das Volk gebracht. Die damalige protestantische Lehre, nach der der Teufel alle Gewalt über jede Kreatur habe, führte zur Entstehung einer eigenen Literatur, den so genannten "Hexenpredigten". Daher breitete sich der Hexenwahn und die Verfolgung der Hexen zunächst in den deutschen protestantischen Gebieten aus und griff dann später auch auf die katholischen Gebiete über, die eine enge Beziehung zum Protestantismus hatten (zum Beispiel Trier, Bamberg, Würzburg, Münster oder Paderborn).


Unter den Katholiken ging die Forderung zum Einschreiten gegen die Hexen meist vom Volk aus, das die Hexen zum Beispiel für wirtschaftliche Missstände verantwortlich machte. Bei den Protestanten waren es Juristen (wie der Strafrechtswissenschaftler Benedikt von Carpzov), Naturwissenschaftler (wie der Mathematiker und Astronom Johannes Kepler) und Prediger (wie Spizelius), die die Hexenprozesse aus dogmatischen Gründen (nämlich wegen der Beziehung der Hexen zum Teufel) forderten.
Die formelle Ausgestaltung der Hexenprozesse kam mit der Einführung der "peinlichen Halsgerichtsordnung" Karls V. 1532, in der zum Beispiel die Verfolgung auf Verdacht oder die Folter festgeschrieben wurden. Diese Anordnungen wurden also von der weltlichen Rechtsprechung und nicht von der katholischen Kirche getroffen. Oft wird behauptet, die Einführung der Inquisition sei Schuld an der Ausbreitung der Hexenprozesse. In den Ländern, in denen die Inquisition herrschte (Italien, Spanien, Portugal), waren die Hexenprozesse aber eher die Ausnahme. In Rom ist nie eine Hexe verbrannt worden. Seit dem 15. Jahrhundert waren vorwiegend die weltlichen und nicht die kirchlichen Gerichte für die Hexenprozesse zuständig.


Auch die Bulle "Summis desiderantes affectibus" von Papst Innozenz VIII. (1484) wird für die Ausbreitung der Hexenprozesse verantwortlich gemacht. Hier handelt es sich aber um eine gerichtliche Maßregel aufgrund eines juristischen Streits in Deutschland. Von Folter oder Feuertod ist nirgends die Rede. Die Deutschen Heinrich Krämer und Jakob Sprenger haben zu dieser Bulle einen Kommentar verfasst, den "Malleus maleficarum" (Hexenhammer). Die Behauptung, dieses Buch habe zu Hexenverfolgungen in großem Stil geführt, ist ebenfalls falsch. Es handelt sich um eine praktische Anleitung für die Inquisitoren und war in der lateinischen Sprache verfasst, sodass sie nur Gelehrten zugänglich war. Der Inhalt dieses Buches ist zwar abscheulich, aber man muss bedenken, dass es sich nicht um ein amtliches Dokument der Kirche handelt.


Die ersten Kämpfer gegen die Hexenverfolgungen waren Katholiken, der berühmteste unter ihnen ist sicherlich der Jesuit Friedrich von Spee, dessen Buch "Cautio criminalis" von 1631 wohl das wirkungsvollste Werk gegen den Missbrauch der Justiz in den Hexenprozessen gewesen ist. Das bescheinigen jedenfalls nicht zuletzt (protestantische) Gelehrte wie Leibniz. Solche Anstrengungen - und nicht etwa die Aufklärung - waren maßgeblich dafür verantwortlich, dass das Ende der Hexenprozesse und der Hexenverfolgung eingeläutet wurde. Obwohl verschiedene Protestanten (wie Carpzov) diese Bemühungen um das Ende der Hexenverfolgungen bekämpften, erhoben sich seit Ende des 16. Jahrhunderts immer mehr Stimmen gegen die Hexenverfolgungen.
Bis in das 18. Jahrhundert hinein wurden die Hexenverfolgungen dann immer stärker bekämpft. Die letzte vermeintliche Hexe, die in Europa hingerichtet wurde, war ein siebzehnjähriges Mädchen, das 1783 in dem protestantischen schweizerischen Kanton Glarus den Tod fand.

 

 

 

 

 

 

 

 

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